Jede repräsentative Umfrage nach der bevorzugten Biersorte würde in Deutschland bis heute wohl nur eine erwähnenswerte Antwort aufweisen: Das Pilsner. Aber was besagt das schon? Ich behaupte: Die meisten selbsternannten Pilsfans würden ein echtes Pilsner Bier, wie es seinerzeit der Bayer Josef Groll im böhmischen Pilsen sott, mehr oder weniger heimlich in den Ausguß oder in die nächste Blumenvase gießen Aber der Reihe nach.
Die perfekte Pilswelle
Bis in die 1970er Jahre war der deutsche Biermarkt deutlich stärker regional geprägt als heute. Man trank vor allem sich je nach Himmelsrichtung unterscheidende Exportbiere wie das Dortmunder oder das Münchner, außerdem typische, meist obergärige Spezialitäten wie Weizenbier in Bayern oder Altbier am Niederrhein.
Natürlich kaufte man auch zu jener Zeit schon allerorten gelegentlich Pilsner Biere, doch erst mit Beginn der sogenannten Pilswelle, die nach und nach über den deutschen Biermarkt hereinbrach und die vergleichsweise große Sortenvielfalt teils hinwegschwemmte, begann der eigentliche Siegeszug der Pilsbiere.
Schon damals zeigte sich, daß geschicktes Marketing und die mit einem Produkt verkauften Assoziationen für den kommerziellen Erfolg viel entscheidender sein können als Originalität oder Produktgüte. Es waren vor allem die damals noch in Millionen gezählten Montanarbeiter des Ruhrgebiets, die bis dahin auf starkes und "ehrliches" Exportbier aus den Trinkhallen und Kneipen gegenüber der Zechen und Stahlwerke eingeschworen waren.
Dem zunehmenden materiellen und sozialstaatlichen Wohlstand verdankten sie immer öfter die Gelegenheit, ihre beanspruchten Körper Kuren oder sich selbst einem Erholungsurlaub zu unterziehen, zum Beispiel im nahen Sauerland. Dort, wo es naturbedingt viel weicheres Wasser als etwa in Dortmund gab, war die Pilsner Brauart ohne aufwendige Wasseraufbereitung möglich und dementsprechend verbreitet. Und so entdeckten auch die starken Männer des Kohle- und Stahlreviers, deren heimatliche Biere stets den Beigschmack harten Arbeitsalltags hatten, das Pilsner als leichte, erfrischende Alternative, die stets Erinnerungen an unbeschwerten Urlaub weckte.
So bescherte der Wunsch nach "Urlaubsbier" den Pilsbrauereien einen anfangs teilweise kaum zu befriedigenden Nachfrageschub, auf den einige Betriebe allerdings schnell und klug reagierten: Sie weiteten ihre Kapazitäten ebenso wie das Absatzgebiet schleunigst aus, warben - anders als die eingesessenen Brauereien, deren Markenzeichen meist Helme, Zahnräder und Hämmer bargen - schon bald mit saftig-grünen Bergwäldern, himmelblauen Stauseen und anderen, ähnlich naturnahen Motiven und hatten in nur wenigen Jahren den Markt komplett umgekrempelt.
Von hier aus war es nur noch ein keiner Schritt zur bundesweiten Marktdurchdringung. Durch konsequentes Marketing und Sponsoring eroberte man bis auf wenige Regionen das ganze Land. Gleichzeitig gaben die Großkonzerne ihren Produkten immer häufiger ein edles, exklusives, ja beinahe klinisch reines Image und schmückten ihre Etiketten mit dem Modewort Premium.
Warum kaum jemand echtes Pilsner mag
Doch aller Marketingkunst zum Trotz: Worthülsen allein reichen letztlich nicht aus, um dauerhaft wirklich breite Massen zu erreichen. Diesem Ziel standen zwei wesentliche Eigenschaften von Bier entgegen, die beim Pilsner besonders ausgeprägt sind: Zum einen der relativ trockene, schlanke Charakter mit einem vergleichsweise hohen Alkoholgehalt bei möglichst geringer Malzsüße. Zum anderen ist Pilsner Bier sehr hopfenbetont, was sich mindestens in deutlichem Hopfengeschmack, oft aber auch zusätzlich in einer deutlichen Bitterkomponente niederschlägt. Genau dieser trocken-herbe, teils bittere Charakter ist es jedoch, der so manchen Mann, vor allem aber und bedingt durch eine leicht abweichende Geschmacksprägung, die große Mehrzahl aller Frauen vor einem echten Pilsner angewidert zurückschrecken läßt.
Willst Du viel, so biete wenig
Was aber tut man, wenn ein Produkt sich wegen typischer Eigenschaften nicht an die größtmögliche Käufermenge bringen läßt? Richtig: Man schleift die Eigenschaften, bis sie weg sind. Echte Bestseller werden es nicht, weil sie so viele tolle Merkmale haben. Sie sind beliebt, weil sie einen bestimmten Wunsch erfüllen, ansonsten aber möglichst wenig störende Ecken und Kanten haben.
Dieser eine, bestimmende Wunsch der breiten Käufermasse liegt auf der Hand: Den Durst löschen, eventuell einen angenehmen Rausch erzeugen und das eben möglichst süffig. Im Grunde täte es auch ein gut gekühltes, mit Alkohol und etwas Zucker versetztes Sprudelwasser - der steigende Erfolg der sogenannten Alkopops ebenso wie der der Biermischgetränke beweist das eindrucksvoll.
Warum dann überhaupt noch Pils?
Diese Frage drängt sich auf, sie ist berechtigt - aber ebenso schnell beantwortet. Daß es in der global-bunten Markenwelt weniger um den Inhalt als um die Verpackung geht, ist längst eine Binsenweisheit. Was hättest Du als dein Lieblingsgetränk lieber: Ein gezuckertes Wasser mit Alkohol, mit dem schon die Teenies in der Dorfdisco die Mädels willig machen, das aus irgendwelchen Aromastoffen besteht, von allen miesgemacht und obendrein nur von Weicheiern gekauft und meist aus der Flasche getrunken wird? Oder lieber ein Produkt mit Seele, das aus handgepflückten Zutaten nach jahrhundertealter Tradition (und am besten in den unterirdischen Felsenkellern der Wernesgrüner Semperoper) gebraut und am Tresen mit viel Brimborium in einem hochwertig aussehenden Kelch dargeboten wird? Nun, die meisten entscheiden sich wohl für letzteres. Denn sonst wären die vielen "Premium"- Pilsner, die keine sind, längst vom Markt verschwunden.
Und nun?
Nun hast Du natürlich zurecht Durst auf ein richtiges, originalgetreues Pilsner Bier. Nur woher nehmen? Recht hast Du: Schwierig. Aber nicht unmöglich. Hier sind die goldenen fünf Regeln für echten Pilsgenuß:
- Premium macht Kunden dumm. Laß' die glitzernden Fernsehbiere im Regal stehen!
- Wenn schon Supermarkt, dann lieber die inzwischen gut verfügbaren Tschechischen Marken. Die nennen sich zwar nicht alle Pilsner, schmecken aber wenigstens danach.
- Laß das mal den Fachmann machen! Wenn Du in halbwegs vertretbarer Entfernung einen auf Bier spezialisierten Getränkehändlerkennst, dann: Hin da und nachgefragt!
- Regional ist optimal... vielleicht hast Du das Glück, in der Nachbarschaft eine noch halbwegs handwerklich arbeitende Brauerei zu haben. Und vielleicht hast Du das unverschämte Glück, obendrein in einem Hopfengebiet zu leben. Dann stehen die Chancen nicht schlecht, daß du nah dran an der Quelle für ein gutes Pilsner bist.
- Hilf Dir selbst! Einer der schönsten, wenn nicht der schönste Grund, Bier selbst zu brauen: Naja, das Bier natürlich! Mit Hilfe der Anleitungen in diesem Portal und gründlicher Lektüre des Hobbybrauer-Forums kannst Du Dir soviel echtes Pilsner brauen, wie Du magst!