Da wird also das Münchner Oktoberfest 200 Jahre alt. Was nicht bedeutet, daß es auch zum 200. Mal stattfindet, das wird, historisch, kriegs- und hungersnotbedingt erst in ein paar Jahren der Fall sein. Sehr zur Freude der Veranstalter, die binnen weniger Jahre gleich zwei Mal "200" jubeln können. Es sei ihnen vergönnt, in Zeiten, da sie, die großen der Branche, in der Krise stecken und trotz immer höherer Rentabilität insgesamt immer weniger kassieren.
Angesichts des allgemeinen Umsatzrückganges der Branche wundert es nicht, daß man das, was sich da in jüngerer Zeit zunehmend am Boden des Gärfasses regt, nicht gerne sieht: Daß kleine, vermeintlich unrentable und zugleich innovative Betriebe plötzlich eine Renaissance erleben. Daß plötzlich wieder weniger das Vierfarbhochglanz-Etikett auf der Flasche zählt, sondern der naturtrübe Inhalt derselben. Und nicht zuletzt, daß sich dieser Inhalt gerne mal jenseits des gebetsmühlengleichen "bayerischen Reinheitsgebotes" oder mindestens in Grauzonen bewegen darf, um Aufmerksamkeit und Kauflust der durchaus noch bierdurstigen Kundschaft zu erregen.
Aus Sicht der Braugiganten ist es also keine Überraschung, daß man da ein echtes "zurück zu den Wurzeln" dann doch nicht so gerne hätte. Und sei es nur in Gestalt einer im Rahmen der "historischen Wiesn" an einem Wochenende das ursprüngliche Brauen vorführenden Hobbybrauertruppe, die womöglich nicht einmal Geld mit ihrem Bierausschank verdienen möchte. So geschehen im Falle der Freunde des Münchner Hobbybrauerstammtisches, die als vielleicht authentischste Münchner Brauer vergeblich um ein paar Quadratmeter auf der Theresienwiese nachsuchten.
Nein, da hält man es schon lieber mit der seit Jahrzehnten geübten Linie. Ein bißchen weißblauer Zinnober hier, etwas mystisches Brimborium dort, noch eine Prise bei Neumond gefegten Staub dazu und fertig ist die Sensation: Ein geheimes Jubiläumsbier soll nun den gemeinen Oktoberfestbesucher an die Authentizität des bayerischen Gerstensaftes heranführen. Gebraut nach einem streng gehüteten Rezept. So streng geheim, daß es 200 Jahre in einem Archiv lag. So streng gehütet, daß man über die Zutaten nur mutmaßen kann: Ob wohl Hopfen drin ist? Oder auch Malz? Wasser womöglich und Hefe gar? Nein, letztere wohl eher nicht. Denn Sterilfiltration gab es auch vor 200 Jahren schon. Oder? Genau wie PVPP, ganz wie zu Ludwigs Zeiten. Und gebraut wird natürlich nicht, wie anno dazumals, unter "katastrophalen hygienischen Bedingungen", sondern, stilecht, im vollautomatischen Großsudwerk.
Nicht, daß wir uns falsch verstehen. Auch im Brauwesen tut man gut daran, sich dem beständigen Wandel nicht zu verweigern. Wenn aber dieser Wandel einzig in immer perfekteren und sterileren Herstellungsmethoden besteht, man aber gleichzeitig ein "etwas dunkleres, dafür süffigeres" Oktoberfestbier mit viel PR-Arbeit zu einer historischen Sensation erklären muß, dann bleibt, selbst wenn dieses Jubelbier womöglich schmeckt, wieder mal nur ein schaler Beigeschmack. Nämlich der, den das deutsche Brauwesen als wohl einzig wirkliches Betriebsgeheimnis seit Jahrzehnten genau so gut hütet, wie ihre "historischen Rezepte": Nur nicht zu viel riskieren.