Bier ist, bislang noch unbestritten, das typische deutsche National- und Kulturgetränk. Doch immer öfter gilt Bier dem Verbraucher heute als primär berauschendes, möglichst billiges Erfrischungsgetränk und wird eher mit Fußballstadion und Dorfkneipe als mit Abendgala und Sternerestaurant in Verbindung gebracht. Während beim Bier (zugegeben: oft genug leider zurecht) über einen Literpreis von fünf Euro geschimpft wird, würde am fünffachen für eine Dreiviertelliterflasche eines auserlesenen Roten kaum jemand Anstoß nehmen.
Das ist vor allem der deutschen Weinindustrie zuzuschreiben, die aus der selbstverschuldeten "Glykolkrise" vor knapp 30 Jahren die einzig richtige Konsequenz zog und seither gleichwohl auf hohe Qualität wie auch auf konsequente Vermarktung ihres Produkts als handwerkliches, hochwertiges (und oft genug -preisiges) Genußmittel setzt. Diesen Trend hat das deutsche Braugewerbe leider über Jahrzehnte verschlafen und ihr Heil allenfalls darin gesucht, zunehmender Großindustrialisierung durch Heißluftballons oder schöne Naturfotos und mangelnder Innovationsfreude durch bierselige Verharrungsnostalgie ein jeweils attraktives Gesicht zu geben.
Dabei ist gerade Bier das Produkt eines zugleich alt überlieferten wie hochspezialisierten und, wenn man mal von den großen Fabriken für kristallklare Bergseebiere absieht, auch heute noch meist handwerklichen Herstellungsprozesses, der viel Sachkunde und Liebe zum Detail fordert.
Zum Glück gibt es, gigantischen alkoholisiertes gelbes Sprudelwasser in immer absurderen Mengen ausstoßenden Weltkonzernen zum Trotz, auch Hoffnungsschimmer. Seit einigen Jahren erfreuen sich kleinste Brauereigasthäuser, die nur für den eigenen Hahn oft hervorragende Biere brauen, wieder wachsender Beliebtheit. Auch hochwertige Biobiere erobern sich allmählich einen Markt, und immer öfter interessieren sich von sterilfiltrierten Kopfwehbieren aus Bremen oder Bitburg noch nicht endgültig abgeschreckte für das Selberbrauen echten, ursprünglichen Bieres.
Aber was genau ist eigentlich Bier? Schau es Dir einmal aus verschiedenen Perspektiven an und vergiß dabei das, was für möglichst niedrige Preise in Diskonterregalen steht.
Analytisch
Nüchtern betrachtet ist Bier zunächst einmal eine wäßrige Lösung. Gelöst sind mehr oder weniger hohe durch Gärung entstandene Alkohole, Kohlendioxid und die unvergärbaren Reste aus den zuvor enzymatisch behandelten (also zu Maltose, Glukose, Dextrose und weiteren Zuckern abgebauten) Stärkefrüchten.
In aller Regel sind außerdem isomerisierte Alphasäuren gelöst, die durch den Hopfen hineingelangen und schließlich noch Eiweißstoffe, die bisweilen für eine Trübung, insbesondere aber für eine Schaumkrone sorgen.
Neben der Hefe, die durch ihren Stoffwechsel (Gärung) für das Entstehen von Alkohol und weiteren Stoffen sorgt, sind vor allem die in fast allen Stärkefrüchten (insbesondere Getreide) enthaltenen Enzyme, deren Bildung durch das künstliche Keimenlassen in der Mälzerei besonders angeregt wird, wichtige Helfer im Herstellungsprozeß. Sie spalten die unvergärbaren und wasserunlöslichen Stärkemoleküle während des Maischens auf.
In einem naturbelassenen unfiltrierten Bier sind zu guter Letzt noch einige Schwebstoffe, insbesondere kleine Hefeteilchen und unlösliche Eiweißpartikel enthalten, die sich in Flaschen nach einiger Zeit als Bodensatz ablagern.
Sein jeweils ganz spezielles Aroma erhält Bier schließlich durch weitere Gärungsnebenprodukte und Aromakomponenten in einer unglaublichen Vielfalt (wissenschaftlichen Untersuchungen nach deutlich mehr als etwa in Wein!). Nur als Beispiel seien Phenole, Ester und ätherische Öle sowie bisweilen Diacetyl oder Schwefelverbindungen erwähnt.
Historisch
Als historisch erwiesen gilt, daß die gezielte Bierherstellung deutlich früher praktiziert wurde, als die des Weins. Sie datiert in etwa mit dem Beginn des Ackerbaus und der Seßhaftigkeit. Angenommen wird, daß ein eingeweichtes und stehengelassenes Brot durch zufälligen Kontakt mit Hefepilzen zu gären begann und ebenfalls zufällig die berauschende Wirkung des Breis bemerkt wurde.
Vergessen wird dabei oft, daß Brot etwa 5000 Jahre vor Christus keineswegs wie heute im heißen Steinofen gebacken wurde, sondern luftgetrockneter Fladen aus zerstampftem und mit heißem Wasser vermengtem Getreide war. Daß es bei der Herstellung solcher Produkte, womöglich unter zufälliger Verwendung einiger bereits gekeimter und damit besonders enzymhaltiger Körner und einem anschließenden Vermischen mit heißem, vielleicht nicht kochenden Wasser zunächst zu einem Stärkeabbau und, nach dem Abkühlen, zu einer spontanen Gärung mit wilden Hefen kommen konnte, ist also ziemlich naheliegend, zumal auch in anderen Frühkulturen wie denen Südamerikas auf ähnliche Weise berauschende Getränke aus Getreide hergestellt wurden.
Natürlich wurde diese Entdeckung mit der Zeit erforscht und perfektioniert; gewerbliche Brauereien und auch eine regelrechte Trinkkultur (Amphoren, aus denen der im Bier schwimmenden Körner wegen mittels Strohhalmen getrunken wurde) gab es bereits im alten Ägypten. Im weiteren Verlauf dürfte vor allem das Läutern hinzugekommen sein, bis die Braukunst später in der europäisch-christlichen Kultur und insbesondere in den Klöstern immer weiter perfektioniert und das Gebräu immer ähnlicher dem wurde, was wir heute als Bier kennen. Der bislang letzte große Meilenstein in der Biergeschichte ist unbestritten die Erfindung der künstlichen Kälte im vorletzten Jahrhundert, mit der die noch relativ neue untergärige Braukunst einen immensen Aufschwung erlebte.
Kulturell
Auch, wenn sich die berauschende Wirkung zu Beginn in engen Grenzen gehalten haben dürfte, ist sie natürlich ein wesentlicher Grund für die gemeinschaftsfördernden Effekte des Bieres. Die enthemmende Wirkung von Alkohol senkt Kontaktschwellen, beschert heitere Momente und förderte in besonderem Maße die kultischen Riten früher menschlicher Gemeinschaftsformen. Das klingt natürlich zuerst ein bißchen lächerlich, wenn man es auf die heutige Zeit projiziert. Und doch ist es im Grunde das Gleiche geblieben: Ausgelassener Karneval ist ohne Bier ebenso unvorstellbar wie ein Oktoberfest oder auch nur ein zünftiger Grillabend im kleinen Kreis. Und auch das gemeinsame Sitzen um den Kneipentresen das Lagerfeuer unserer Jetztzeit sähe ohne Bier höchst merkwürdig aus.
Gesundheitlich
Wie alles, so ist auch Bier gesundheitsschädlich, denn Gift ist bekanntlich eine Frage der Dosis. Folgt man allerdings der Weltgesundheitsorganisation, so ist für einen gesunden Erwachsenen sogar ein ganzer Liter Bier am Tag unbedenklich.
Abgesehen von dem dabei meist vordergründig betrachteten letalen Effekt des Alkohols enthält Bier, und auch hier ist natürlich ein hochwertiges und nicht ein in Fabriken hergestelltes Massenprodukt gemeint, viele gesundheitsfördernde Substanzen. Dazu zählen zum Beispiel Phenole, die positiv auf den Kreislauf wirken, Aminosäuren, Vitamine und Spurenelemente.
Daß "drei Bier eine Mahlzeit" sind, stimmt übrigens längst nicht mehr, wenn man bedenkt, daß ein Liter mit durchschnittlich 500 Kilokalorien nur einen Bruchteil des Brennwerts etwa eines Hamburger-Menüs enthält. Allerdings können drei Bier durch die appetitanregende Wirkung des Hopfens (in Verbindung mit dem Hemmschwellen senkenden Einfluß des Alkohols) schnell zum Verzehr eines solchen Menüs und auf Dauer so dann doch zu der streng genommen fälschlich "Bierbauch" genannten Körperrundung führen.
Sensorisch
Würde die deutsche Brauindustrie dem Wort "Biervielfalt" nur ansatzweise in dem tatsächlich möglichen Maß Rechnung tragen, anstatt sich vor allem durch Bergseen und Heißluftballons voneinander zu differenzieren, das Wort "Absatzkrise" käme in ihrem Wortschatz nicht vor.
Bier kann nämlich so viel mehr als kristallklar und golden sein: Es kann von hellgelb bis tiefschwarz, von glänzend bis fast dickflüssig, von trocken über süß bis säuerlich, von fruchtig bis bitter, von spritzig bis gehaltvoll, von erfrischend bis wärmend, von malzigen, grasigen, blumigen Noten über Karamell-, Kaffe- und Fruchtgeschmack bis hin zu Anklängen von Schokolade, Lakritz oder geräuchertem Schinken eine schier unendliche Zahl an geschmacklichen Erlebnissen immer wieder neu variieren. Selbst bei lebenslang täglich wechselndem Genuß könntest Du doch nur einen Bruchteil aller Möglichkeiten entdecken.
Schon die wenigen in Deutschland gewerblich erlaubten Zutaten eröffnen dank verschiedensten Mälzungsverfahren und Hopfensorten ein sehr breites Spektrum. Braust Du selbst, entfallen diese Beschränkungen und es stehen praktisch alle Wege offen. Spätestens, wenn Du selbst erlebt hast, welch unterschiedliche Geschmackserlebnisse echtes und mit Liebe zum Produkt hergestelltes Bier bieten kann, wirst Du begreifen, warum es inzwischen glücklicherweise auch immer mehr Biersommeliers gibt, die ganze Galamenüs einschließlich des Desserts mit passenden Biersorten zu begleiten vermögen.
Das ist Bier. Dein Bier!
Lust bekommen auf richtiges Bier jenseits von Bitbacher und Kromsteiner? Dann leg' los und: brau Dir eins es lohnt sich !