Nicht nur historisch hat fast jede Kulturnation, die etwas auf sich hält, eine eigene "Bierlegende" oder zumindest ein "Volksgetränk", das aus alkoholisch vergorenen, aus stärkehaltigen Rohstoffen gewonnenen Zuckern besteht. Während die offizielle deutsche Definition von Bier heute nicht nur bestimmte Getreidesorten, sondern auch noch deren Mälzung als Grundbedingung sieht, kennt die kombinierte EU-Nomenklatur "Bier aus Malz" und "sonstige vergorene Getränke". Und was man als nichtgewerblicher Hobbybrauer als Bier bezeichnen mag und was nicht - woran soll sich diese Entscheidung orientieren?
Grundsätzliche Erwägungen
In meinem Artikel über das "Reinheitsgebot" habe ich vorgeschlagen, die überwiegende Verwendung stärkehaltiger Rohstoffe als Indiz zu werten. Folgt man diesem Ansatz, so zählen neben gemälztem und rohem Getreide auch alle anderen eßbaren Früchte, die nicht vornehmlich Zucker liefern, als Ausgangsmaterial für Bier. Neben diesen prinzipiellen und eher akademischen Überlegungen stellt sich natürlich eine andere, letztlich entscheidendere Frage: Kann der jeweilige Rohstoff im Ergebnis ein schmackhaftes Getränk liefern, das ich als Brauer "Bier" nennen würde? Denn neben den reinen Zuckerstoffen, die sich aus der Stärke durch enzymatischen Abbau gewinnen lassen, liefert jede Frucht ja auch noch ganz individuelle Aromen und Inhaltsstoffe. Auch sucht man schaumrelevante Proteine in vielen Früchten vergebens. Anders als Obstsorten, die in reifer Form fertigen, vergärbaren Zucker liefern (und deshalb traditionell zur Weinbereitung verwendet werden), enthalten Stärkefrüchte auch relativ wenige Fruchtsäuren, was die gewonnene vergärbare Lösung der "klassischen" Getreidebierwürze ähnlicher macht.
Verarbeitung
Wie beim Getreide gilt es, die Stärkemoleküle der jeweiligen Frucht freizulegen und mit Hilfe von Enzymen in lösliche und vergärbare Zuckermoleküle aufzuspalten. In den meisten Fällen genügt das Zerkleinern der Frucht. Je nach Wassergehalt kann dies mittels geeignetem Mahlwerk (getrocknete, harte Früchte wie Maronen) oder in einem Fleischwolf mit sehr grober oder ohne Lochscheibe geschehen. Auch dedizierte Obstmühlen, wie sie in Saftkeltereien verwendet werden, sind für weiche bzw. wasserhaltige Früchte gut geeignet. Weitere Hinweise zum Verarbeiten von Rohfruchtmaischen.
Früchte und Eigenschaften
Maronen
Die Edelkastanie - nicht zu verwechseln mit der in Deutschland allerorts anzutreffenden und nur optisch verwandten Seifenfrucht namens Roßkastanie - ist schon deswegen eine interessante Braufrucht, weil sie botanisch eine Nuß ist. Als solche ist sie wiederum sehr untypisch, da sie fast kein Fett, dafür aber reichlich Zucker und noch mehr Stärke enthält. Zu diesen brautechnisch interessanten Eigenschaften kommt ihr sehr typisches Aroma, das sich zwischen nussig, süßlich und würzig bewegt und Kastanienbieren einen unverwechselbaren Geschmack gibt. Gebraut wird Kastanienbier im gewerblichen Stil derzeit vor allem auf Korsika. Im restlichen Europa wird es bestenfalls als Spezialität kleinster und experimentierfreudiger Brauereien hergestellt. Was angesichts des wirklich delikaten Geschmacks sehr schade ist und deshalb umso mehr als Herausforderung für Hobbybrauer gesehen werden sollte. Frische Maroni bestehen fast zur Hälfte aus Wasser und sind leicht verderblich. Ebenfalls zum Brauen eignen sich natürlich getrocknete, aber auch (leicht) geröstete Eßkastanien. Konserven, die man bisweilen im Handel sieht, enthalten hingegen oft Konservierungsstoffe und oder Würzmittel, die sich in der Maische weniger gut ausnähmen. Ebenfalls erhältlich ist Maronenmehl aus getrockneten Früchten, das sich (vom anfänglichen Rühren abgesehen) ebenfalls gut verarbeiten läßt. Da Maronen wenig Eiweiß enthalten, empfiehlt sich die Zugabe schaumfördernder Malze oder, wenn gewünscht, entsprechender Additive. Ein Beispielrezept für Bier mit Maronenzugabe gibt es hier.
Bananen
Sie enthalten viele wertvolle Mineralien, viele Kohlehydrate, wenig Fett und kein Eiweiß. Die bei uns als Obst verbreiteten Dessertbananen enthalten deutlich mehr Zucker (etwa ein Drittel des Kohlehydratgehalts) als die erst in neuerer Zeit auch hierzulande als Gemüse erhältlichen Kochbananen. Der Wasseranteil der frischen Früchte liegt bei etwa 75 Prozent. Um aus einem hohen Schüttungsanteil mit vertretbarem Aufwand viel Zucker zu lösen, sind getrocknete und geschrotete oder gemahlene Bananenscheiben ("Chips") vermutlich die bessere Idee. In jedem Fall scheint eine kombinierte Enzymbehandlung (kochen und temperaturabsteigend verzuckern) insgesamt sinnvoll. Der nicht vorhandenen Proteingehalt ist hinsichtlich des Schaumverhaltens zu berücksichtigen.
Kartoffeln
Die erst in der jüngeren Geschichte nach Europa eingeführte, dann allerdings vor allem in Deutschland schnell zur Volksspeise erklärten Knolle gibt es in tausenden Sorten. Die hier beliebten, im wesentlichen hinsichtlich ihrer Kochfestigkeit beliebten Speisekartoffeln, machen dabei nur einen kleinen Teil aus. Man denke nur an die verschiedenen Formen der in der karibischen und kreolischen Küche beliebten Süßkartoffel. Abgesehen vom Wasseranteil bestehen Kartoffeln vor allem aus Stärke (etwa 80 Prozent der Trockenmasse), Eiweiß und Ballaststoffen (je etwa zehn Prozent). Damit sind sie grundsätzlich gut zur Herstellung vergärbarer Flüssigkeiten geeignet, was in der Praxis vor allem zur Herstellung von Industrieethanol ausgenutzt wird, gelegentlich auch für Kartoffelbrände. Bierwürze aus Kartoffeln liefert, Berichten einiger Hobbybrauer zufolge, je nach Sorte vergleichsweise wenig Eigengeschmack. Damit bietet sie eine gute Grundlage für Experimente mit anderen Geschmacksträgern (etwa Erpropung von Aromahopfen). Aufgrund des hohen Wassergehalts ist, wie bei Bananen, das Verwenden zerkleinerter und getrockneter Früchte ratsam. Die Verwendung von fertigem Kartoffelmehl oder -speisestärke dürfte zu einem noch deutlich neutraleren Würzegeschmack führen.
Pseudogetreide
Es gibt sehr stärkehaltige Früchte, die in Gestalt und Zusammensetzung aussehen wie Getreide, aber nicht als solches gelten, da sie keine Früchte der sogenannten Süßgräser sind. Dazu zählen vor allem Buchweizen und Amaranth. Da sich diese kornartigen Samen oder Nüsse weitgehend wie Getreide verarbeiten und sogar mälzen lassen, werden sie nicht hier aufgelistet, sondern wissenschaftlich unkorrekt unter Rohgetreide aufgeführt.
In eigener Sache
Die Auswahl der hier genannten Beispielfrüchte ist willkürlich und orientiert sich an eigenen Erfahrungen und an Berichten aus dem Hobbybrauer-Forum. Ergänzende Informationen sowie Erfahrungsberichte mit diesen und weiteren Stärkefrüchten sind jederzeit sehr willkommen, sei es in den Kommentaren oder auf einem anderen Weg.
Gleditschiensamen im Bier?
Hallo!
Hat jemand schon mal etwas davon gehört/gelesen, daß man "früher" die Samen dieses Baumes http://de.wikipedia.org/wiki/Gleditschien
dem Bier zugegeben hat?
Grüße
Mäx