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Eigentlich hatte seine Scheinheiligkeit, olle Willem, nicht völlig Unrecht, als er anno 1516 ausdrücklich Gerste (und nicht etwa Gerstenmalz) als reinliche Zutat für ein jedes königlich-bäuerische Bier bezeichnete. Denn mit unvermälzter Gerste läßt sich so manchem Brauvorhaben geschmacklich durchaus ein zusätzlicher Reiz verleihen. Wie übrigens grundsätzlich mit fast jedem Rohgetreide.
Natürlich ist Malz hinsichtlich seiner besonderen Eigenschaften für einen zügigen und effektiven Brauprozeß ungemälztem Getreide gegenüber haushoch überlegen. Alles andere wäre auch merkwürdig, hat man das Mälzen von Getreide doch genau aus diesem Grund über viele Jahrtausende perfektioniert. Dennoch schwören, jenseits deutscher Landesgrenzen, etliche Brauer - Amateure wie Profis - auf die Zugabe verschiedener Rohgetreidesorten.
Das kann zum einen finanzielle Gründe haben, denn während die Malzherstellung selbst in modernsten Anlagen enorme Mengen an Energie und Wasser verschlingt, sind die Kosten für im Labor gewonnene Enzyme recht überschaubar. Auch paßt nicht jedes Ausgangsgetreide zu jeder Mälzanlage. Und nicht zuletzt liegt es auch an der Nachfrage: Während Hirsebier in Deutschland kaum jemand kennt, ist es in Afrika ein traditionelles Getränk, dessen Herstellung einschließlich Mälzung sich mengenmäßig lohnt.
Für uns, die wir in Bier kein beliebiges Anlagegut auf Finanzmärkten oder Warenterminbörsen sehen, gibt es freilich andere, wichtigere Gründe. Und die sind meist geschmacklicher Natur. Pauschal läßt sich sagen, daß Rohgetreide gegenüber "seinem" Malz den individuellen Charakter seiner Sorte unterstreicht und insgesamt zu einem etwas "brotigerem" Geschmack beiträgt. Auch ergeben viele Sorten in gerösteter Form besonders interessante, meist deutlich nussige Geschmacksnuancen, die der Maillard-Reaktion der noch komplett unverzuckerten Stärke zu verdanken sind.
Verarbeitung und Konfektionierung
Grundsätzlich muß die im Rohgetreide enthaltene Stärke während des Maischvorgangs von "fremden" Enzymen zu löslichen und vergärbaren Zuckern gespalten werden, sei es durch die Zugabe enzymreichen Malzes oder mit Hilfe künstlicher Enzyme. In einigen Fällen muß die Stärke vor dem Maischen zudem gezielt aufgeschlossen werden, damit die Enzyme wirken können. Einige Verfahren werden im Detailwissen: Maischen/Rohfrucht beschrieben.
Ganzes Korn
Genau wie Malz wird auch Rohgetreide geschrotet, sofern ea in ganzen Körnern vorliegt. Der Walzenabstand ist hier so zu bemessen, wie es auch beim jeweils aus dem Getreide hergestellten Malz der Fall ist. Gerade bei (nicht entspelzter) Gerste ist geschrotetes ganzes Korn eine gute Wahl, da so die Filtereigenschaften beim Läutern gewahrt bleiben.
Flocken
Besonders in Hobbybrauerkreisen sind durch Dämpfen und Walzen "vorverkleisterte" Körner beliebt, da hier die Stärkemoleküle leichter für die Enzyme der Maische erreichbar sind. Allerdings sind eventuell am ganzen Korn vorhandene Spelzen hier entweder entfernt oder zum Läutern unbrauchbar. Besonders im angelsächsischen Raum behilft man sich bei hohen Flockenanteilen gerne mit Reisspelzen als Ersatz, aber auch gehäckseltes Stroh kann hier helfen.
Grieß und Mehl
Je feiner die Körner gemahlen sind, umso besser ist die spätere Ausbeute an löslichem Extrakt. Bei sehr großkörnigen Getreidesorten wie Mais kann es auch das Leben der eigenen Schrotmühle verlängern, wenn er direkt als Grieß (gut geeignet ist Polenta) gekauft wird. Nachteilig wirkt sich ein feinerer Mahlgrad natürlich auf die Läuterarbeit aus (vgl. Flocken).
Sorten und Eigenschaften
Getreide unterscheidet sich nicht nur anhand der Arten, sondern auch innerhalb derselben durch verschiedene Sorten mit unterschiedlichen Eigenschaften.
Gerste
Gerste gilt in der modernen Bierkultur als das wichtigste Braugetreide. Das liegt an ihrem günstigen Verhältnis von (relativ wenig) Eiweiß zu Stärke, Keimungs- und enzymatischen Eigenschaften und an einem zwar typischen, aber insgesamt wenig aufdringlichen Eigengeschmack. Art und Anteil von Proteinen sind in Braugerste besonders günstig für die Bierbereitung; Futtergerste enthält deutlich mehr Eiweiß. Röstgerste läßt sich besonders gut aus spelzenloser Gerste herstellen und sorgt vor allem in typischen Ales für eine kräftig rote Farbe und einen leicht fruchtigen, nussigen Charakter ohne brenzlige Röstnoten. Aber auch in tiefschwarzen Stouts ist geröstete Gerste eine typische Zutat. Im Bild: Aus Nacktgerste wird Röstgerste, hier im Backofen und während zweieinhalb Stunden. Im Lebensmittelhandel ist Gerste vor allem in geschälter und polierter Form erhältlich - unter der Bezeichnung Graupen. Ganze Körner sind aber in jeder besser sortierten Naturkostabteilung zu finden, meist ohne Spelzen.
Roggen
Roggen gilt - in den gemäßigten Klimazonen Europas und Rußlands - als dankbares Brotgetreide. Abgesehen davon steht er für kernigen, deftigen Geschmack und, als volles Korn, für gesunden Nährwert. Leider ist dieses typische "Nordgetreide" im Brauprozeß recht problematisch, was unter anderem an den reichlich vorhandenen Schleimstoffen liegt. Wer sich dennoch traut, zumindest einen moderaten Anteil seiner Schüttung mit ihm zu bestreiten, wird mit ungewohnten, aber nicht unangenehmen kernigen Anklängen belohnt. Sofern die Schleimstoffe nicht gezielt durch technische Enzyme abgebaut werden, kann Roggen dem Getränk eine leicht sähmige Textur verleihen. Roggen ist, je nach angebauter Sorte, ein mehr oder weniger gern besuchter Wirt der Mutterkornpilzes, weshalb sich immer wieder mal Neulinge finden, die Roggen mitsamt des Parasiten zu Bier verbrauen möchten und sich davon besonders berauschende Erlebnisse versprechen. Diese Annahme ist, glücklicherweise, unzutreffend. Glücklicherweise deshalb, weil die zahlreichen toxischen - äußerst unschöne Nebenwirkungen zeitigenden - Inhaltsstoffe des Mutterkorns nicht wasserlöslich sind und deshalb nicht in die Bierwürze übergehen.
Weizen
Weizen ist normalerweise der Überbegriff für eine breite Palette miteinander verwandter Getreidesorten; heute unterscheidet man ihn landläufig vor allem in Hart- und Weichweizen. Während ersterer besonders viel Klebereiweiß enthält und damit vor allem in der Teigwarenherstellung beliebt ist, wird für Brauzwecke - gemälzt oder ungemälzt - praktisch immer die normale, auch als Backweizen bezeichnete Gattung verwendet. Weizen bringt, vor allem als Rohgetreide, kaum Körper oder Eigengeschmack ins Bier, sondern sorgt eher für eine schlanke Spritzigkeit. Dies macht Rohweizen beispielsweise in Belgien zu einer beliebten Zutat für Witbier (belgisches Weizenbier) oder auch Lambics. Weichweizen besitzt lose Spelzen, die aber bei der Verarbeitung abfallen. Daher sind Schüttungen mit hohen Weizenanteilen oft schwieriger zu läutern.
Dinkel
Dinkel (auch Spelz oder Schwabenkorn) ist ein alter Vorläufer des heute üblichen Weizengetreides. Abgesehen von den ihm oft zugeschriebenen, ernährungsphysiologisch im Vergleich zum heutigen Backweizen wertvolleren Eigenschaften ist er oft auch eine Alternative für Weizenallergiker (er enthält jedoch, wie Weizen, Gluten). Auch geschmacklich gilt er manchem als überlegen: Backwaren aus Dinkel sollen würziger und kräftiger schmecken; Ähnliches wird auch Dinkelbier nachgesagt, das meist ähnlich dem aus Weizen hergestellt wird. Eine interessante Variante des relativ alten Kulturgetreides ist Grünkern, vorzeitig geernteter und durch Darren über Feuer oder Heißluft getrockneter unreifer Dinkel. Durch das Heißtrocknen enthält er komplexe Aromen und aufgrund der vorzeitigen Ernte sind die Zuckermoleküle des Korns noch nicht vollständig zu Stärke verkettet, was die Maischarbeit tendenziell erleichtert. Dinkel und Grünkern sind mittlerweile (wieder) problemlos im Lebensmittelhandel zu erhalten.
Einkorn
Eine sehr alte und ursprüngliche Vorläuferform des heutigen Weizens, aus der nachweislich schon vor Jahrtausenden Brot und Bier hergestellt wurden. Einkorn ist besonders mineralreich, hat im Gegensatz zu den heutigen Weizensorten stabile Spelzen und gibt der Würze eine deutlich intensivere Farbe als Weizen. Einkorn ist meist in Bio- und Naturkostläden erhältlich.
Emmer
Emmer, auch Zweikorn genannt (vgl. Einkorn), ist eine weitere sehr alte Weizenart und wird seit Urzeiten angebaut. Er ist ein naher Verwandter des Hartweizen und als solcher sehr eiweißhaltig. Dies begünstigt einerseits die Schaumbildung, andererseits aber auch die Trübung. Emmer bringt einen kräftigen Eigengeschmack in die Würze. Er wurde schon von sehr frühen Kulturen zum Bierbrauen verwendet und ist insgesamt ein sehr lohnendes Braugetreide; eine österreichische Brauerei produziert beispielsweise ein Schwarzbier aus Emmer. Emmer kann vorwiegend über Bio- und Naturkostläden bezogen werden.
Triticale
Dieses Hybridgetreide könnte ein sehr interessantes Braugetreide sein - gemälzt und ungemälzt. Bislang gibt es hier allerdings nur wenig belastbare Erkenntnisse. Triticale ist eine Kreuzung aus Roggen und Weizen und vereint deren erwünschte Eigenschaften. Für Brauer macht ihn sein hoher Gehalt an Amylasen interessant. Man darf auf die weitere Entwicklung dieser (relativ) neuen Züchtung gespannt sein.
Hafer
Hafer ist ein beliebtes und traditionelles Kulturgetreide insbesondere im mittel- und nordeuropäischen Raum und findet bis heute vielseitige Verwendung in der Küche. Auch Haferbier war bis zum Mittelalter sehr beliebt und verschwand, wie so viele alte Sorten, mit dem Aufkommen der unzähligen "Reinheitsgebote" und dem Siegeszug des untergärigen Biers während der Industrialisierung. Im britischen Raum ist Hafer allerdings bis heute gängige Zutat einiger Biere, zum Beispiel des Oatmeal Stouts. Hafer läßt sich gut mälzen. Als Rohfrucht sollte er vorverkleistert werden. Sein relativ hoher Fettanteil ist der Schaumqualität abträglich. Er hat, abgesehen vom Nackthafer, sehr festsitzende Spelzen. Im Handel erhältliche Ware ist davon jedoch meist befreit, sodaß der Kauf ganzer Körner, außer zum Selbstmälzen, kaum einen Vorteil gegenüber den einfacher erhältlichen Haferflocken bringt. Haferbieren wird nussiger, leicht säuerlicher, frischer Geschmack nachgesagt. Alte Überlieferungen attestieren ihnen außerdem eine bessere Verdaulichkeit.
Mais
Das Kolbengetreide ist vor allem auf dem amerikanischen Kontinent der wichtigste Stärke- und Zuckerlieferant. Vergorene Getränke aus Maisbrei waren schon den Ureinwohnern der neuen Welt bekannt und heilig, und bis heute spielt Mais im dortigen Brauwesen eine signifikante Rolle. Er hat je nach Sorte einen hohen Anteil an Zuckern und/oder Stärke und bringt eine kräftig-gelbe Bierfarbe sowie einen unaufdringlichen, leicht süßlichen Eigengeschmack in die Würze.
Aufgrund seiner Zusammensetzung sollte Maisschrot, -grieß oder Mehl vorgemaischt und verkleistert werden. Aufgrund der Proteinzusammensetzung entsprechen stark maishaltige Biere in ihrem Schaumverhalten nicht unbedingt unseren Vorstellungen. Dementsprechend sollten ggf. Spitzmalz und/oder schaumfördernde Additive in Betracht gezogen werden. Im Gegensatz zu Gerste, Roggen und den Weizenarten enthält Mais kein Gluten, was Biere aus diesem Getreide für Zöliakiepatienten verträglich macht.
Reis
Reis ist besonders im asiatischen Kulturkreis das wichtigste Getreide überhaupt. Da verwundert es nicht, daß man ihn dort auch als bevorzugtes Braugetreide einsetzt. Aus Reis gewonnene Bierwürze ist, je nach Sorte und Kornbehandlung (Polieren führt beispielsweise zu helleren Farben) relativ hell. Auch der Eigengeschmack variiert je nach Sorte und Aufbereitung zwischen (meist) neutral und (insbesondere bei Wild- und Duftreis) leicht würzig. Das alles macht Reis zu einem guten Ausgangsstoff für Expeditionen in neue geschmackliche Sphären. Reis ist glutenfrei.
Hirse
Hirse ist vor allem in Afrika ein Nährgetreide mit langer Tradition. Seit Jahrtausenden wird daraus neben Fladenbroten, Brei, Grütze oder Suppen auch Bier nach verschiedensten Rezepturen gebraut. Hirse läßt sich, wie jedes Getreide, mälzen. Dies wird in Afrika zu Brauzwecken auch getan, in Europa aus technischen und Nachfragegründen hingegen kaum. Hobbybrauer können hier natürlich selbst experimentieren. Als Rohfrucht wird Hirse meist zu Brei verkocht, was die Stärke für Enzyme gut zugänglich macht. Da sie über keine geeigneten Spelzen verfügt, müssen für Schüttungen mit großem Hirseanteil zwingend Filterhilfen oder Zentrifugen eingesetzt werden. Auch Hirse enthält kein Gluten; einige europäische Brauereien produzieren daraus Bier für Zöliakier. Man erhält sie gut im Einzelhandel, oft auch in Bioqualität.
Buchweizen
Buchweizen zählt zu den sogenannten Pseudogetreiden, sprich, er ist aus botanischer Sicht keines. Allerdings läßt er sich nicht nur für einige Backwaren wie ein solches einsetzen, auch Bier kann man daraus herstellen und sogar mälzen läßt er sich. Er gilt traditionell als höchst nahrhaft und obendrein gesundheitsfördernd; seine Inhaltsstoffe sollen den Blutzuckerspiegel senken. Buchweizen ist glutenfrei. Von Hause aus ist Buchweizen recht aromatisch. Backwaren und Bier verleiht er eine ausgeprägt nussige Note, die sich durch leichtes Rösten der Körner noch unterstreichen läßt. Buchweizen kann als Mehl, Grieß und in ganzen Körnern im Handel bezogen werden. Da er auch und besonders in der osteuropäischen Küche eine große Rolle spielt, sind auch russische und polnische Lebensmittelgeschäfte eine Bezugsmöglichkeit.
Amaranth
Das sehr eiweiß-, eisen- und mineralhaltige Korn ist, wie Buchweizen, ein Pseudogetreide, das der Hirse sehr ähnlich sieht. Amaranth erfreut sich, ausgehend von der Naturkostbewegung, zunehmend auch allgemeiner Beliebtheit, bisher vor allem als Zusatz in Müslimischungen oder -riegeln. Es gilt insgesamt als sehr wertvoll für die menschliche Ernährung und enthält kein Gluten. Vor allem leicht geröstet liefert Amaranth eine nussige Komponente. Er ist mittlerweile in den Naturkostregalen vieler Super- und Drogeriemärkte in ganzen Körnern erhältlich.